Streiken und Streikrecht als Lehrer

Dürfen Lehrer als Beamte streiken?
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Das Verwaltungsgericht Düsseldorf fällte ein brisantes Urteil: Verbeamtete Lehrer dürfen trotz eines geltenden Streikverbots für Beamte ohne disziplinarische Konsequenzen ihre Arbeit niederlegen. Damit erhielt eine 45jährige Realschullehrerin Recht, die während ihrer Unterrichtszeit an einem Streik teilgenommen hatte und in einem Disziplinarverfahren zu einer Geldbuße von 1500 Euro verurteilt worden war. Das Gericht gab als Begründung an, dass der Europäische Gerichtshof zwischen verschiedenen Beamtengruppen unterscheiden würde und von „beamtenrechtlichen Kernbereichen“ sprechen würde. Dazu gehören Polizisten und Vollzugsbeamte, aber Lehrer eben nicht.  Deswegen dürften verbeamtete Lehrer, die während der Unterrichtszeit an Demonstrationen teilnehmen würden, nicht disziplinarisch belangt werden. Allerdings wies  der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung darauf hin, dass die Teilnahme an Warnstreiks weiterhin als Dienstvergehen betrachtet werden müsse. Verantwortlich dafür seien die im Grundgesetz verankerten Grundsätze des Berufsbeamtentums, wonach Beamte nicht streiken dürfen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das Gericht die Berufung gegen das Urteil beim Oberverwaltungsgericht in Münster zugelassen. Das Verwaltungsgericht Kassel hat am 1.9. 2011 entschieden, dass beamtete Lehrer streiken dürfen (Az. 28K574/10 KS.D).  Die Richter begründeten das mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus den Jahren 2008 und 2009, Demnach dürfen alle streiken, die nicht hoheitliche Aufgaben erfüllen, wie Armeeangehörige, Polizisten oder Beamte im Strafvollzug. Lehrer gehörten nach Ansicht der Richter nicht dazu. Allerdings ist der Richterspruch  in seinen Konsequenzen für den Schulbereich problematisch. Beamte haben schließlich eine besondere Treuepflicht gegenüber dem Staat und sind dafür mit gewissen Privilegien ausgestattet. Dazu gehören zum Beispiel die Unkündbarkeit und ein entsprechendes Gehalt. Im Gegenzug verlangt der Staat, dass er sich auf seine Beamten verlassen kann und dass sie nicht während der Dienstzeit an Kundgebungen teilnehmen. Ein großer Teil des öffentlichen Lebens würde lahmgelegt, wenn Beamte streiken würden.

OVG Münster: Kein Streikrecht für Beamte!

Am 7.3.2012 hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass Beamte in Deutschland kein Streikrecht haben (Az. 3dA 317/11.0). Anlass war die oben genannte Geldbuße. Die Berufung des Landes NRW hatte Erfolg, sodass der Disziplinarsenat das Düsseldorfer Urteil wieder aufgehoben hat. Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Es ist damit rechtskräftig. Für beamtete Lehrer gilt das auch, denn wenn sie während Ihrer Unterrichtszeit in Streik treten, so verursachen sie damit Unterrichtsausfall  oder zwingen andere Kolleginnen und Kollegen zu Mehrarbeit, um diesen zu verhindern. Betroffen sind dann vor allem die Schülerinnen und Schüler, die ein garantiertes Recht auf Unterricht haben. Verbeamtete Lehrkräfte können also disziplinarrechtlich belangt werden, wenn Sie streiken. Tarifbeschäftigten hingegen können streiken. Bei einem Streik handelt es sich in der Regel um eine kollektive Arbeitsverweigerung, die den Arbeitgeber unter Druck setzen soll, um irgendwelche Forderungen der Arbeitnehmer zu erfüllen. Das sind meist Lohnforderungen oder Verbesserungswünsche für den Arbeitsplatz

Lehrer in NRW

In NRW gibt es rund 195000 Lehrer, von denen 160000 beamtet sind. Die anderen arbeiten im Tarifbeschäftigungsverhältnis. Am 22.8.2011 hatte das Verwaltungsgericht Osnabrück einen gegenteiligen Richterspruch verkündet: Es wies die Klage von zwei verbeamteten Lehrern aus Nordhorn ab, die geklagt hatten, weil sie eine Geldbuße wegen der Streikteilnahme im Jahre 2009 erhalten hatten. Das Gericht gab als Begründung an, dass ein Land durchaus den Beamten den Streik verbieten könne und die Geldbuße sei rechtens. Nach dem Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofes ist das zwar korrekt, allerdings dürften die Länder das Streikrecht nur denen verbieten, die hoheitliche Aufgaben verrichteten. Das gelte für Polizeibeamte, die Bundeswehr oder den Justizvollzugsdienst, keinesfalls aber für Lehrer. So gibt es derzeit zwei unterschiedliche Positionen:

Die Argumentation des Beamtenbundes

Der Deutsche Beamtenbund lehnt das Streikrecht ab, weil ein Berufsbeamtentum nur ohne Streikrecht sinnvoll ist. Auf diese Weise wird eine flächendeckende und kontinuierliche Funktionsfähigkeit des Staates sichergestellt. Das Land müsse sich darauf verlassen können, dass die Schule tagtäglich auch stattfindet. Eine Unterscheidung nach hoheitlichen und nicht hoheitlichen Tätigkeiten lehnt der DBB ab.

Die Argumentation der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi

Nach Auffassung von GEW und Verdi brauchen Beamte ein Streikrecht. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob sie hoheitliche oder nicht hoheitliche Aufgaben erfüllen. Ein Verdi-Sprecher erklärte, man werde bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, um zu klären, was hoheitliche Aufgaben sind. Die GEW will sich notfalls an den Europäischen Gerichtshof wenden.

27.2.2014 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts: Kein Streikrecht für beamtete Lehrer

Nunmehr hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig endgültig entschiedenen, dass beamtete Lehrer nicht streiken dürfen. Die tarifbeschäftigten Kolleginnen und Kollegen dürfen das aber (Az. BVerwG 2 C 1.13). Das steht zwar im Widerspruch zum Europäischen Gerichtshof, denn der sieht auch für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die hoheitsrechtliche Aufgaben erfüllen, ein Streikrecht vor. Aber die Richter entschieden dennoch so; sie wiesen aber darauf hin, dass das Land NRW eigentlich seine Gesetze ändern müsse. Hier ist die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts: Beamtenrechtliches Streikverbot Beamtete Lehrer dürfen sich auch weiterhin nicht an Streiks beteiligen, zu denen die Gewerkschaften ihre angestellten Kollegen aufrufen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. Die Klägerin, eine Lehrerin, die in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mit dem beklagten Land stand, blieb im Jahr 2009 dreimal dem Unterricht fern, um an Warnstreiks teilzunehmen, zu denen die Gewerkschaft GEW während der auch von ihr geführten Tarifverhandlungen aufgerufen hatte. Die Gewerkschaft wollte ihrer Forderung nach einer Gehaltserhöhung von 8 % und deren anschließender Übernahme in die Beamtenbesoldung Nachdruck verleihen. Die Klägerin hatte ihr Fernbleiben der Schulleiterin angekündigt, die sie auf das beamtenrechtliche Streikverbot hingewiesen hatte. Die Beklagte verhängte gegen die Klägerin durch Disziplinarverfügung eine Geldbuße von 1 500 € wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst. Die Anfechtungsklage ist in der Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht erfolglos geblieben. Die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht dem Grunde nach zurückgewiesen; es hat jedoch die Geldbuße auf 300 € ermäßigt. Der Entscheidung liegen folgende Erwägungen zugrunde: Nach deutschem Verfassungsrecht gilt für alle Beamten unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich ein generelles statusbezogenes Streikverbot, das als hergebrachter Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG Verfassungsrang genießt. Dieses Streikverbot gilt auch für Beamte außerhalb des engeren Bereichs der Hoheitsverwaltung, der nach Art. 33 Abs. 4 GG in der Regel Beamten vorbehalten ist. In der deutschen Rechtsordnung stellt das Streikverbot einen wesentlichen Bestandteil des in sich austarierten spezifisch beamtenrechtlichen Gefüges von Rechten und Pflichten dar. Es ist Sache der Dienstherren, diese Rechte und Pflichten unter Beachtung insbesondere der verfassungsrechtlichen Bindungen zu konkretisieren und die Arbeitsbedingungen der Beamten festzulegen. Demgegenüber entnimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als authentischer Interpret der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) deren Art. 11 Abs. 1 ein Recht der Staatsbediensteten auf Tarifverhandlungen über die Arbeitsbedingungen und ein daran anknüpfendes Streikrecht. Diese Rechte können von den Mitgliedstaaten des Europarats nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK nur für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der hoheitlichen Staatsverwaltung generell ausgeschlossen werden. Nach der Rechtsprechung des EGMR gehören nur solche Staatsbedienstete – unabhängig von ihrem Rechtsstatus – der hoheitlichen Staatsverwaltung an, die an der Ausübung genuin hoheitlicher Befugnisse zumindest beteiligt sind. Die deutschen öffentlichen Schulen und die dort unterrichtenden, je nach Bundesland teils beamteten, teils tarifbeschäftigten Lehrkräfte, gehören nicht zur Staatsverwaltung im Sinne der EMRK. Die Bundesrepublik ist völkervertrags- und verfassungsrechtlich verpflichtet, Art. 11 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR in der deutschen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen. Damit enthält die deutsche Rechtsordnung derzeit einen inhaltlichen Widerspruch in Bezug auf das Recht auf Tarifverhandlungen und das Streikrecht derjenigen Beamten, die außerhalb der hoheitlichen Staatsverwaltung tätig sind. Zur Auflösung dieser Kollisionslage zwischen deutschem Verfassungsrecht und der EMRK ist der Bundesgesetzgeber berufen, der nach Art. 33 Abs. 5, Art. 74 Nr. 27 GG das Statusrecht der Beamten zu regeln und fortzuentwickeln hat. Hierfür stehen ihm voraussichtlich verschiedene Möglichkeiten offen. So könnte er etwa die Bereiche der hoheitlichen Staatsverwaltung, für die ein generelles Streikverbot gilt, bestimmen und für die anderen Bereiche der öffentlichen Verwaltung die einseitige Regelungsbefugnis der Dienstherren zugunsten einer erweiterten Beteiligung der Berufsverbände der Beamten einschränken. Die Zuerkennung eines Streikrechts für die in diesen Bereichen tätigen Beamten würde einen Bedarf an Änderungen anderer, den Beamten günstiger Regelungen, etwa im Besoldungsrecht, nach sich ziehen. Für die Übergangszeit bis zu einer bundesgesetzlichen Regelung verbleibt es bei der Geltung des verfassungsunmittelbaren Streikverbots. Hierfür ist von Bedeutung, dass den Tarifabschlüssen für die Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes aufgrund des Alimentationsgrundsatzes nach Art. 33 Abs. 5 GG maßgebende Bedeutung für die Beamtenbesoldung zukommt. Die Besoldungsgesetzgeber im Bund und in den Ländern sind verfassungsrechtlich gehindert, die Beamtenbesoldung von der Einkommensentwicklung, die in den Tarifabschlüssen zum Ausdruck kommt, abzukoppeln. (Pressemitteilung BVerwG Nr. 16/2014) BVerwG, Urteil v. 27.2.2014 – 2 C 1.13 –

Beamtenrechtliches Streikverbot

Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich mit Urteil vom 27. Februar 2014 – 2 C 1.13 – zum Streikverbot für Beamte geäußert. Nunmehr sind die Entscheidungsgründe veröffentlicht worden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass für alle Beamten unabhängig von ihrer Tätigkeit ein generelles Streikverbot als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG besteht. Zugleich hatte das Bundesverwaltungsgericht erklärt, dass für Beamte außerhalb der rein hoheitlichen Staatsverwaltung ein Konflikt zwischen Art. 33 Abs. 5 GG und der Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 EMRK besteht. Der Bundesgesetzgeber wurde aufgefordert, einen Ausgleich zwischen den inhaltlich unvereinbaren Anforderungen des Art.33 Abs. 5 GG und des Art. 11 EMRK herzustellen. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt das Streikverbot uneingeschränkt fort. ,Eine verfassungsgerichtliche Klärung steht aus, da gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde. Dem Urteil ist die Klarstellung zu entnehmen, dass das Streikverbot als statusrechtliches Kernelement für alle Beamtinnen und Beamten gilt und die wahrgenommene Tätigkeit keine Rolle spielt. Das Gericht hat des weiteren deutlich gemacht, dass in der „genuin hoheitlichen Verwaltung“ durchgängig Beamte eingesetzt werden müssen. Das bisher praktizierte Nebeneinander von Beamten und Tarifangehörigen wird beanstandet.

Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt der dbb zu anderen Schlussfolgerungen als das Bundesverwaltungsgericht: Es ist daran festzuhalten, dass auch Lehrer hoheitliche Aufgaben wahrnehmen und daher ,regelmäßig zu Beamten zu ernennen sind. Der Beamtenstatus ist nicht teilbar. Eine Differenzierung nach hoheitlichen und nichthoheitlichen Aufgaben mit abweichenden Beteiligungs- und Verhandlungsrechten wird abgelehnt. Eine solche Mischform entbehrt jeder Legitimation. Eine Einschränkung der Pflichten wird sich überdies notwendigerweise negativ auf die besonderen beamtenrechtlichen Sicherungsrechte auswirken. Ob es die vom Bundesverwaltungsgericht behauptete Kollision zwischen EMRK und deutschem Verfassungsrecht gibt, die von der Legislative zu lösen wäre, wird letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen. (aus ZfPR 6/2014).

Vertretungsunterricht bei Unterrichtsausfall durch streikende Lehrerinnen und Lehrer

Da es inzwischen viele Kolleginnen und Kollegen in den Schulen gibt, die nicht verbeamtet sind, sondern  im Tarifbeschäftigungsverhältnis arbeiten, trifft der Streik diejenigen Schulen stark, in denen viele davon an Demonstrationen und Streiks teilnehmen. Schulleitungen sind dann in einer Zwickmühle: Einerseits unterstützen sie innerlich die Streikenden und ihre Forderungen, andererseits sind sie verpflichtet, den Unterricht zu sichern. Vielfach werden dann umfangreiche Vertretungspläne gemacht und beamtete Kolleginnen und Kollegen zur Mehrarbeit verpflichtet. Diese Mehrarbeit brauchen Sie aber nicht auf sich zu nehmen! Sie brauchen auch die dienstliche Anweisung der Schulleitung nicht zu befolgen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 02.03.1993 (Az. 1 BvR 1213/85) ist nämlich der Einsatz von Beamten zur Vertretung von streikenden Tarifbeschäftigten bei einem rechtmäßigen Streik rechtswidrig. Dazu wäre  eine gesetzliche Regelung erforderlich, die aber bisher nicht vorhanden ist. Aus diesem Grunde brauchen Sie auch keine disziplinarrechtlichen Konsequenzen zu fürchten. Wenn der Unterricht durch einen Streik ausfällt, muss die Schule allerdings die Aufsicht über die Schülerinnen und Schüler gewährleisten, sodass Sie der Schulleiter durchaus zur Beaufsichtigung verpflichten kann. Dennoch sollten sich Beamte mit den Tarifbeschäftigten solidarisieren und durch Unterrichtsverlegung oder Teilnahme an Veranstaltungen, die außerhalb des Unterrichts stattfinden, den Streik unterstützen. Schließlich sind es in den letzten Jahren immer die Tarifbeschäftigten gewesen, die Lohnerhöhungen durchgesetzt haben, die schließlich auch den Beamten zugute kamen. Ein Streikaufruf kann aber immer nur durch die dbb tarifunion  erfolgen. Dann sollte man umgehend die Schulleitung informieren und darauf hinweisen, dass man an dem Streik teilnehmen will.
Thema/Titel Internet-Adresse
Beamtenrecht und Grundrechte http://www.die-beamtenversorgung.de/
Standpunkt der GEW: Beamte dürfen streiken! https://www.gew.de/tarif/streik/beamtenstreik/
Fragen zum Lehrerstreik werden auch im Lehrerforum beantwortet. http://www.lehrerforum-nrw.de/