Gebundene und offene Ganztagsschulen



Die Schulzeitverkürzung zum zwölfjährigen Abitur und die Verlagerung eines Teils der  Unterrichtsstunden auf die Sekundarstufe I bedeuten für alle Sekundar-Schulen die Einführung des Ganztagsunterrichts durch die Hintertür. Darüber hatten sich die meisten Schulen zunächst gar keine Gedanken gemacht. Wenn nämlich zu den bestehenden 30-32 Stunden in der Sek. I noch zwei dazukommen, wird die Verteilung auf 5 Tage eng. Noch schlimmer der Stress in den Klassen 11 und 12, wenn 5 Stunden dazukommen.

Die Einführung der Ganztagsschule ist natürlich politisch gewollt. Dazu sind auch Ende 2005 die Ganztagserlasse geändert worden und den Haupt- und Realschulen wurde dies durch eine zusätzliche Lehrerzuweisung schmackhaft gemacht. Die neuen Sekundarschulen werden ebenfalls als Ganztagsschulen gegründet. Andererseits wünschen die Eltern auch die Ganztagsschule, damit sich Arbeitszeiten und Kindererziehung besser vereinbaren lassen.
Im Mai 2009 verkündete Ministerin Sommer stolz ihre bisherige „Erfolgsgeschichte“:

  • Im Primarbereich bieten rund 2.950 offene Ganztagsschulen 205.000 Plätze an. Die Betreuungspauschale ermöglicht auch an offenen Ganztagsschulen eine Übermittagbetreuung, eine Ausweitung der Öffnungszeiten und ergänzende Angebote zur individuellen Förderung.
  • Jede zweite Hauptschule ist Ganztagsschule. Besondere Möglichkeiten der individuellen Förderung bieten die erweiterten Ganztagshauptschulen. Bis zum Jahr 2012 gibt es auch hier 86.000 neue Plätze.
  • In fast allen Kreisen und kreisfreien Städten entstehen bis zum 1. August 2010 insgesamt 216 neue Ganztagsgymnasien und -realschulen
  • Alle Schulen der Sekundarstufe I verfügen über eine pädagogische Übermittagbetreuung und zum Teil auch über ergänzende Ganztagsangebote.
  • Schulträger können Investitionen für den Ganztag über die Bildungspauschale sowie über das 1.000-Schulen-Programm finanzieren. Das 1.000-Schulen-Programm umfasst 100 Millionen Euro, die Schulpauschale wurde in zwei Schritten von 460 auf 600 Millionen Euro jährlich erhöht.





Gleichzeitig warb die Ministerin für den Ausbau der Ganztagsschulen mit dem Slogan „Ganztag – das ist mehr Zeit für Kinder in der Schule, mehr Bildungsförderung, mehr soziale Gerechtigkeit“. Als Zeitrahmen wurde vorgegeben, dass die Anwesenheit in der Schule an drei Tagen in der Woche mindestens 7 Zeitstunden betragen soll und die Hausaufgaben weitgehend in diesen Bereich eingebettet werden sollen. Das wird als „gebundener Ganztag“ definiert, der dann zusätzlich noch mit freiwilligen Angeboten ergänzt werden soll.
Bei zwei Stunden Nachmittagsunterricht soll mindestens eine 60-minütige Pause eingelegt werden; bei einer Stunde am Nachmittag soll sie immer noch 30 Minuten betragen. Derartige Pausen bedeuten für viele Schulen ein zusätzliches Problem, weil sie keine Aufenthaltsräume und keine Mensa haben. Ausführliche Hinweise dazu enthält der derzeit gültige Ganztagserlass vom 23.12.2010, der in der BASS unter 12-63 Nr.2 abgedruckt ist.

Schulform200520092010
Primarrbereich14002921leichte Erhöhung möglich
Förderschule729219leichter Ausbau nur im Primarbereich möglich
Hauptschule147325359
Realschule2267130
Gymnasium2775135
Gesamtschule210211211

Ausbaustand der Ganztagsschulen in NRW – Stand: Mai 2009




Mit Beginn des Schuljahres 2009/10 wurde im Rahmen der „Ganztagsoffensive“ des Landes der gebundene Ganztag an Realschulen und Gymnasien eingeführt. Im Schuljahr 2010/11 gab es nach der amtlichen Schulstatistik NRW neben den inzwischen 2.982 offenen Ganztagsschulen im Primarbereich (OGS) insgesamt 1.019 gebundene Ganztagsschulen in der Sekundarstufe I. Inzwischen ist der Ausbau der Ganztagschulen mit großen Schritten vorangeschritten. Bis 2014 sollen alle Schulen Ganztagschulen werden. Das ist natürlich ein teurer Spaß. Der Bildungs-forscher Klaus Klemm hat errechnet, dass Bund und Länder jährlich 9,4 Milliarden Euro investieren müssten, um alle allgemeine bildenden Schulen zu Ganztagsschulen umzurüsten. Man unterscheidet zwischen offenen, gebundenen und erweiterten gebundenen Ganztagsschulen. Den Unterschied sehen Sie in der rechten Zusammenstellung. Das Ministerium gibt sich große Mühe, die Ganztagsschule flächendeckend einzuführen. Zusätzlich gibt es auch verschiedene wissenschaftliche Begleituntersuchungen zur Effektivität der Ganztagsschule. Allerdings meldet eine Studie des deutschen Jugendinstituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, dass die Konzepte der einzelnen Schulen zum Teil noch recht mangelhaft sind. Vor allem die offenen Ganztagsschulen zeigen deutliche Mängel, weil das Bildungsangebot nicht für alle verbindlich ist und nicht alle Kinder individuell ausreichend gefördert werden.

Quelle: Bildungsbericht Ganztag 2011

Lesen Sie dazu den Bildungsbericht Ganztag 2016, der sehr aufschlussreich ist, weil er den derzeitigen Stand einer Daueruntersuchung darstellt.

Der Ausbau der Ganztagsschulen schreitet kräftig voran. Zum Schuljahresbeginn 2012/2013 starteten im Sekundarbereich I insgesamt 83 neue Ganztagsschulen. Das waren 41 Sekundarschulen, 20 Gesamtschulen, 12 Gymnasien, 3 Realschulen und 7 Förderschulen.
Im Primarbereich standen zu diesem Zeitpunkt 248 000 Ganztagsplätze zur Verfügung. Somit arbeiten inzwischen mehr als  2/3 aller Schulen im Ganztagsbereich.

Allerdings müsste allen verantwortlichen Bildungspolitikern klar sein, dass die Einführung der Ganztagsschule keine besseren Schülerleistungen erbringt. Viele Ganztagsschulen haben – so wie die offene Ganztagsgrundschule – ein falsches Etikett, weil sie eine Mogelpackung sind. In ihnen findet nämlich sehr oft kein Ganztagsunterricht statt, sondern lediglich eine Ganztagsbetreuung. Die ist für einen kleinen Teil der Schülerinnen und Schüler auch manchmal ganz nützlich, aber eben nicht für jeden und nicht immer!

Es ist fatal zu glauben, dass sich die Schülerleistungen dadurch bessern; die werden nur besser durch besseren Unterricht. Guter Unterricht hat aber mit Ganztagsschule so wenig gemein wie die Kuh mit dem Sonntag. Auch das Sozialverhalten wird nur zu einem kleinen Teil verbessert, da dies hauptsächlich durch das Leben in der Familie bestimmt wird. Durch die Ganztagsbetreuung verabschieden sich nämlich nur noch mehr Familien von ihren Erziehungsaufgaben, weil sie glauben, dass jetzt alles in der Händen der Schule liegt und die das ja machen kann. Sie bringen vor allem den Hausaufgabenerlass ins Spiel, der folgende Regelung enthält: “ Ganztagsschulen sollen Hausaufgaben in das Gesamtkonzept des Ganztags integrieren, sodass es möglichst keine Aufgaben mehr gibt, die zu Hause erledigt werden müssen.“ (s. BASS 12-31 Nr.1)
Politiker müssten außerdem – in Erinnerung an ihre eigene Schulzeit – wissen, dass Kinder und Jugendliche auch manchmal die Nase voll von Schule haben. Sechs Stunden in dieser Umgebung reichen da völlig! Wie schön wäre es, wenn es nachmittags tolle Programme zur Freizeitgestaltung gäbe, die nicht alle in Schulgebäuden stattfänden! Die gab es früher zuhauf von verschiedenen Vereinen, kirchlichen Gruppen und Trägern der Jugendhilfe. Was hat man gemacht? Sie aus Kostengründen geschlossen und das Geld für Betreuung in offenen Ganztagsschulen verwendet. Ein weiterer fataler Fehler, den meist die Schulträger begangen haben.

Inzwischen wächst auch vielerorts die Kritik am Offenen Ganztag.
In einem Presseartikel vom 22.9.2012 in der Rheinischen Post rügt die Vorsitzende des Stadtelternrates massiv den häufigen Personalwechsel und die unzureichenden Rahmenbedingungen. An einer Grundschule hatten zum Schuljahresbeginn von sieben Gruppen vier keine Leitung . Vertretungskräfte und pädagogische Hilfskräfte mussten improvisieren. Überforderung auf allen Seiten war die Folge. Auch von anderen Eltern wurden teils miserabel ausgebildete Hilfskräfte für die Betreuung der Gruppen bemängelt. Nach Meinung der Eltern ging es fast immer um Aufbewahrung statt einer qualifizierten Betreuung. Das Jugendamt der Stadt Düsseldorf ist für den OGS-Bereich verantwortlich, teilweise wird er aber auch von freien Trägern angeboten. Diese bemängeln ebenfalls, dass sie zu wenige Erzieher für diese Aufgabe gewinnen können. Das ist verständlich, denn ein Teilzeitjob oder auch ein 25 Stunden-Vertrag ist für viele nicht attraktiv.
Die Stadt Düsseldorf sieht das natürlich anders. Sie hat in das vom Land initiierte freiwillige Angebot der OGS bereits mehr als 18 Millionen Euro investiert und glaubt, ihr Angebot sei landesweit führend. Die Eltern mit einem höheren Einkommen freilich sind unzufrieden; sie bezahlen monatlich 150 Euro und verlangen dafür auch eine qualifizierte Betreuung.

Pädagogische Übermittagbetreuung

Ebenfalls gibt es ab 1.2.2009 für alle Schulen der Sekundarstufe I, die keine Ganztagsschule sind, das neue Programm „Geld oder Stelle“. Damit wird das bisherige Programm „Dreizehn-Plus“ abgelöst.

„Die Schulen wählen, ob sie Geld oder entsprechend Lehrerstellen-Anteile für die pädagogische Übermittagbetreuung vorziehen. Die Mittel können für die pädagogische Betreuung und Aufsicht in der Mit-tagspause für alle Schülerinnen und Schüler mit Nachmittagsunterricht sowie auch für ergänzende Arbeitsgemeinschaften, Bewegungs- und Förderangebote im Rahmen eines Ganztagsangebots ein-gesetzt werden. Eine Schule mittlerer Größe erhält entweder 25.000 Euro oder wahlweise eine halbeLehrerstelle. Es gilt eine gestaffelte Förderung:*unter 300 Schülerinnen und Schüler: 15.000 EUR oder 0,3 Stelle*300 bis 500 Schülerinnen und Schüler: 20.000 EUR oder 0,4 Stelle*501 bis 700 Schülerinnen und Schüler: 25.000 EUR oder 0,5 Stelle*über 700 Schülerinnen und Schüler: 30.000 EUR oder 0,6 StelleSchulen, bei denen der Ganztag beginnend mit der fünften Klasse aufwächst (vgl. 1.), bekommen fürdie Übermittagbetreuung bzw. die genannten ergänzenden Angebote für ihre übrigen Schülerinnenund Schüler der Sekundarstufe I die Mittel oder Stellen anteilig.“

Schulen, die das Ganztagsprogramm umsetzen wollen, erhalten einen kräftigen Finanzierungszuschuss für den Bau von Mensen und Aufenthaltsräumen. Der kann bis zu 100.000 Euro betragen; allerdings muss sich der Schulträger in gleicher Höhe an den Kosten beteiligen.

Damit werden die Schulen gelockt. Aus der PISA-Krise wird uns das nicht führen. Das ist nämlich der falsche Ansatz, Schule zu verbessern. Schließlich haben schon mehr als 40 Jahre Gesamtschule als Ganztagsschule gezeigt, dass die Leistungen der Schüler nicht besser wurden. Darüber sollte man nachdenken! Sinnvoller wäre es, das Geld in den Vorschulbereich zu stecken, um die Einstiegsbedingungen für die Kinder zu verbessern. Je jünger die Kinder sind, desto höher ist die Effizienz. In der Sekundarstufe kann man nur noch reparieren, was vorher versäumt wurde. Das müssten doch auch Politiker begreifen.

Turbo-Abitur nicht ohne Ganztag

Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie die Eltern in Nordrhein- Westfalen sind sich einig: Das Abitur nach zwölf Schuljahren – vier Jahre an der Grundschule, acht Jahre am Gymnasium (G8) – führt in der von der schwarz-gelben Landesregierung beschlossenen Form zu einer unerträglich hohen Stundenbelastung gerade bei den jüngeren Schülerinnen und Schülern. Denn die Schulen werden mit den Folgen des Turbo-Abiturs allein gelassen.
CDU und FDP haben ohne ein Konzept für den Ganztag das Turbo-Abitur an den Gymnasien eingeführt. Dabei ist der Ganztag der Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung des G8. Wir brauchen in NRW umgehend ein pädagogisch begründetes Konzept für ein ausreichendes Angebot von Ganztagsplätzen an den Gymnasien, das die Erwartungen und Wünsche der Familien und der Kinder an Bildung, Erziehung und Betreuung berücksichtigt. Im Kern geht es in diesem Vorschlag der SPD im Düsseldorfer Landtag um eine gut organisierte Ganztagsschule mit rhythmisiertem Unterricht, regelmäßigen außerunterrichtlichen Angeboten und einem richtigen Mittagessen in entsprechenden Räumlichkeiten. Hier reicht es nicht, nur ein paar Tische und Stühle zusammenrücken und einen Essenslieferanten zu bestellen, wie es dem Schulministerium vorschwebt. Unverbindlicher und unverantwortlicher geht es nicht. Vielmehr ist ein Landesprogramm notwendig, durch das Investitionen der Schulträger für eine ganztagsgerechte Ausstattung der Schulen und Angebote gefördert werden. (Aussage der SPD-Fraktion im Landtag Februar 2008)

Natürlich hat bei dem gesamten Ausbaukonzept der Ganztagsschule wieder keiner an die Lehrerinnen und Lehrer gedacht, die immer größerer Belastung und immer geringeren Entspannungszeiten ausgesetzt sind. Die Anwesenheitszeiten und Pausenaufsichten in den Ganztagsschulen steigen deutlich an und daneben müssen weiterhin Konferenzen, Korrekturen und Elterngespräche erledigt werden, ohne dass irgendeine Entlastung zugestanden wird.

Mehr Geld für offenen Ganztag in Grundschulen

Wie schon im November 2014 versprochen worden war, werden ab 1.2. 2015 die Fördersätze für die offenen Ganztagsschulen in NRW erhöht. Insgesamt werden für diesen Bereich 357 Millionen Euro ausgegeben, das sind 6,6 Mill. Euro mehr als 2014.  Außerdem sollen 2600  zusätzliche Ganztagsplätze für neu eingewanderte Flüchtlingsfamilien eingerichtet werden. Nach Aussagen von Schulministerin Sylvia Löhrmann  werden im Schuljahr 2015/16 mehr als 280 000 Plätze an OGS zur Verfügung stehen, das bedeutet, dass 40 % aller Schülerinnen und Schüler im Primarbereich eine Ganztagsbetreuung erhalten.

Erfahrung mit Samstagsunterricht und Ganztagsunterricht:

Als ich 1966 meinen Schuldienst begann, war Samstagsunterricht die Regel. Oft mussten wir am Samstag auch 6 Stunden unterrichten. Wir versuchten den Stundenplan so zu gestalten, dass wir am Samstag möglichst keine sechs Stunden zu unterrichten hatten, sondern nach der 4. Stunde frei hatten und damit auch etwas früher in das Wochenende starten konnten. Wir haben uns immer riesig gefreut, wenn uns das gelang.
Die Verteilung unserer 30 Wochenstunden – zu denen wir damals verpflichtet waren – auf sechs Wochentage hatte den Vorteil, dass man  durchschnittlich 5 Stunden pro Tag zu unterrichten hatte. Das war erträglich. Wenn wir samstags nach der 4. Stunde frei hatten, bedeutete das, dass wir an zwei Wochentagen 6 Stunden unterrichten mussten. Das war schon härter.
Nachmittagsunterricht kannten wir nicht, das Wort „Stress“ gab es übrigens auch noch nicht, das kam erst Ende der 70er auf. Alles verteilte sich auf 6 Vormittage. Den Hausaufgabenerlass, der Zeit der Hausaufgaben begrenzte und festlegte, dass man übers Wochenende keine Hausaufgaben aufgeben durfte, gab es auch noch nicht.
Wir merkten als Lehrerinnen und Lehrer alle, dass die Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit jeweils am Morgen am besten war und in der 5. und 6. Stunde deutlich nachließ. So legten wir dort Stunden wie Kunst, Musik, Sport, Heimatkunde, Werken und Naturlehre hin. Wir schrieben jede Woche ein Diktat, 10-12 Klassenarbeiten für Deutsch im Jahr und hatten 6 Stunden Deutsch und fünf Stunden Mathematik in der Woche. Englisch gab es noch nicht. Zentrale Diktate und Aufsätze gab es aber schon: Wir bekamen an einem bestimmten Tag morgens vom Schulleiter verschlossene Umschläge mit den Themen ausgehändigt und mussten diese anschließend als  Klassenarbeit schreiben. Lese-rechtschreibschwache Kinder hatten wir nur in Ausnahmefällen, weil wir jeden Tag eine Deutschstunde hatten und konsequent übten, bis die Fehler ausgemerzt waren. Den Hausaufgabenerlass gab es nicht, sodass alle Kinder auch nachmittags und am Wochenende noch üben mussten. Es wurden unter anderem auch noch sehr viele Gedichte auswendig gelernt und vorgetragen.
Als ich dann in den 70er Jahren in der Hauptschule unterrichtete, kamen Englisch, Physik/Chemie und Arbeitslehre als neue Fächer hinzu. Wir  unterrichteten in 30-, 45-, 60- und 90-Minuten-Einheiten, teilten die  Klassen in  A-, B- und C-Kurse und durften alle 14 Tage  einen Samstag frei machen, wenn  die Schulkonferenz, die durch das neue Schulmitwirkungsgesetz eingeführt worden war, das beschlossen hatte. Der Schulträger  musste zustimmen und es gab viele unzufriedene Eltern, die  ihre Kinder in unterschiedlichen Schulen hatten, die  einmal samstags unterrichtsfrei machten, während andere das gerade nicht taten.

Wir schlugen uns mit der neu aufgekommenen Mengenlehre herum und machten unsere ersten Betriebspraktika. Die Schulträger hatten erkannt, dass man den Samstagsunterricht besser regeln musste. Die Stimmen des örtlichen Schulpsychologischen Dienstes, der die Verteilung des Unterrichts auf 6 Wochentage wegen des geringeren Leistungsdrucks und der besseren Arbeitsverteilung vehement verteidigte, wurden vom Schulausschuss in den Wind geschlagen. Es gab schließlich Energiekrisen, die man zum Anlass nahm, für alle Schulen bestimmte Samstage (z.B. den ersten und dritten im Monat) unterrichtsfrei zu machen. Die einsetzende Arbeitszeitverkürzung  und der allgemeine politische Slogan „Samstags gehört Papi mir!“ führten schließlich dazu, dass der Samstag unterrichtsfrei wurde und ein entsprechender Hausaufgabenerlass veröffentlicht wurde.

Als Folge davon mussten wir mehrere Stunden auf den Nachmittag legen (vorrangig Sport, Arbeitsgemeinschaften und Wahlpflichtkurse), was aber nicht so schlimm war, weil wir viele Kolleginnen oder Kollegen an der Schule hatten, die das gerne machten, weil sie dort ihre Hobbys mit den Schülergruppen ausleben konnten. Auch die Schüler kamen gern. Der Unterricht endete 13:20 Uhr und der Nachmittagsunterricht begann um 15:00 Uhr. Es waren allerdings immer dieselben Lehrerinnen und Lehrer, die den Nachmittagsunterricht bestritten, weil sie bestimmte Fächer erteilten. Damit konnten eigentlich alle leben.
Wir stellten sogar bei der Stadt Neuss den Antrag auf Umwandlung unserer Schule in eine Ganztagsschule, weil wir guten Kontakt zu den Eltern hatten, die Schülerinnen und Schüler zu Hause besuchten und den Lernfortschritt begleiteten. Wir waren sehr zufrieden mit unserem Arbeitsplatz und den erreichten Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Was uns fehlte, war eigentlich nur das Mittagessen in der Schule. Leider dauerte es einige Jahre, bis endlich der Schulträger unserem Drängen nachgab, eine Mensa, eine Sportanlage und zusätzliche Räume in einem anderen Gebäude einrichtete. Wir wurden die erste Neusser Ganztagsschule.

Vom Samstag als Unterrichtstag sprach bald keiner mehr. Er gehörte mehr und mehr zum Wochenende und es war völlig klar, dass man am Freitagmittag mit der Schule abschloss und ins heiß ersehnte Wochenende wechselte. Alle spürten nämlich immer mehr, dass sich die Arbeit über die restlichen 4 1/2 Tage deutlich verdichtet hatte und dass man am Freitagmittag „kaputt“ war.
Lediglich die Schulfeste wurden noch samstags gefeiert. Aber sie waren schön, weil das immer ein freiwilliger freier Tag war, den man zum Feiern auserwählt hatte, bei dem viele Eltern kamen und den man auch als „Feiertag“ ansah. Die Arbeitsbelastung stieg immer mehr, trotz der Senkung der wöchentlichen Pflichtstunden auf 27. Das hing allerdings auch mit der Veränderung der Gesellschaft zusammen. Das Interesse der Eltern an der Erziehung der Kinder ließ immer mehr nach und die verantwortungsbewussten Eltern schickten ihre Kinder nicht mehr zur Hauptschule. Das Niveau sank und die Erziehungsschwierigkeiten nahmen zu. Inzwischen waren viele Gesamtschulen gegründet worden, zu denen auch viele engagierte und qualifizierte Kolleginnen und Kollegen wechselten. Schließlich wurde sehr für diese Schulform geworben und es wurden neue, interessante Arbeitsplätze versprochen.

Auch ich wechselte 1989 zur Gesamtschule. Die Pflichtstundenzahl betrug hier zwar nur 24,5, aber die Verweildauer in der Schule war ungleich höher. Allen war es völlig klar, dass der Samstag frei war und dass an den anderen Tagen von 8:00  bis 16:00  Unterricht stattzufinden hatte. Die Eltern wollten, dass die Schülerinnen und Schüler alle ihre Hausaufgaben in der Schule erledigten und dass sie am Wochenende nicht auch noch mit „Schulkram“ behelligt wurden. Sie hatten schließlich die Gesamtschule  als Ganztagsschule gewählt, weil sie während der Woche  beide arbeiten mussten und sich nicht um die Kinder kümmern konnten. Das sei ja schließlich die Aufgabe der Schule, sagten sie.
Einfältigerweise legte ich die  „leichteren“ Stunden wie Kunst, Musik, Technik, Sport, Wahlpflichtkurse und Arbeitsgemeinschaften auf den Nachmittag, wurde aber schnell durch die Schulaufsicht dienstlich belehrt, dass  ich den Unterricht zu „rhythmisieren“ hätte und gefälligst auch Mathematik,  Englisch, Deutsch und Latein auf den Nachmittag zu legen hätte. Schließlich hätten die Schülerinnen und Schüler nach psychologischen Erkenntnissen am Nachmittag wieder ein „geistiges  Hoch“, das es auszunutzen gelte. Ich hatte eigentlich in meiner Lehrerausbildung etwas anderes gelernt, musste mich aber fügen, da es eine dienstliche Anweisung war.

So wurde jeder Tag ein Stress-Tag, besonders für diejenigen, die viel Nachmittagsunterricht zu erteilen hatten; alle sehnten sich nach dem Wochenende.  Für die Oberstufenklassen gab es manchmal einen 10-Stunden-Tag, der zwar durch die Mittagspause und die eine oder andere Freistunde unterbrochen wurde, was aber an der langen Anwesenheit nichts änderte. Der Dienstagnachmittag wurde unser Konferenztag, deshalb mussten die Stunden vom Dienstagnachmittag auf den Freitagnachmittag verlegt werden. Bitter. Die Fehlquote der Schüler stieg. Alle wollten am Freitag um 14:00 Uhr Wochenende haben – wie ihre Eltern.  Und nichts mehr zu Hause tun: nur „abhängen“, Partys feiern und Stapel von Videos konsumieren. Bücher und Hefte hatten sie sowieso in der Schule in ihrem Schließfach gelassen. Hausaufgaben brauchten sie von Freitag auf Montag keine zu machen. Schließlich wollten sie von Freitagmittag bis Montagmorgen nichts mehr mit der Schule zu tun haben. Die Leistungen wurden durch den Ganztag nicht besser. Im Gegenteil: Vokabeln wurden nicht mehr am Wochenende gepaukt, nachgelesen oder wiederholt wurde auch vielfach nichts mehr, weil die Schulbücher in der Schule und nicht zu Hause waren.

Am Montagmorgen war oft nichts mehr mit ihnen anzufangen. Und der Stress für die Kolleginnen und Kollegen begann aufs Neue. Am Anfang versuchten wir, dem allmählichen Leistungsabfall dadurch entgegenzuwirken, indem wir täglich eine Arbeitsstunde in den Stundenplan einbauten, damit in dieser die Hausaufgaben in Ruhe erledigt werden konnten. Sehr schnell stellte sich aber heraus, dass dazu aber differenziert werden musste und dass es stundenplantechnische Schwierigkeiten bei der Einordnung der Arbeitsstunden gab. Am liebsten hätte ich an den Vormittag die „harten“ Stunden gelegt, dann die  Mittagpause mit dem Mittagessen organisiert und am Nachmittag neben den leichteren Fächern zwei richtige Hausaufgabenstunden und verpflichtende Nachhilfestunden gelegt. Aber das durfte ich wegen der Rhythmisierung nicht. …

Vielleicht hilft Ihnen meine kleine, individuelle Entwicklungsgeschichte zur Einschätzung der Ganztagsschule. Eine Entscheidung in Ihrer Schulkonferenz dagegen wird es kaum geben, da die Ganztagsschule politischer Wille und auch vielfach auch Wille der Eltern ist..

Man braucht allerdings nicht gespannt darauf sein, wie die Diskussion ausgeht: Da keiner mehr samstags arbeiten will, wird der Schulalltag aller Schülerinnen und Schüler demnächst immer länger werden. So können die Eltern ihre Kinder leichter loswerden und im Glauben gelassen werden, dass sie gut versorgt sind und alle ihre Hausaufgaben in der Schule erledigen, sodass sich die Eltern zu Hause nicht mehr um sie kümmern müssen.

Und so sieht die Entwicklung der Ganztagsschule in NRW im August 2016 aus:

 Anzahl der Schulen (mit Ganztagsbetrieb in %)

Schulform

2011/122013/142015/16
Grundschulen3086 (87,3%)2944 (90,2%=2845 (92,2%)
Förderschulen426 (72,1%)384 (76,0%)377 (85,7%)
Primus-/Waldorfschulen)49 (77,6%)50 (92,0%)55 (90,9%)
Hauptschulen608 (52,8%)566 (55,5%)456 (58,3%)
Sekundarschulen84 (98,8%)114 (99,1%)
Gemeinschaftsschulen12 (100%)12 (100%)10 (100%)
Gesamtschulen232 (97,4%)281 (97,5%)314 (97,8%)
Gymnasien626 (22,8%)626 (24,9%)624 (26,8%)

Die Zahlen stammen aus den amtlichen Schuldaten der betreffenden Jahre aus dem MSW. Das bedeutet, dass von den rund 5500 Schulen inzwischen fast 74 % im Ganztagsbetrieb laufen.

Das Ganztagsprogramm wird weiter ausgebaut.  Im April 2015 verkündete Schulministerin Löhrmann, dass die Förderung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ vom Land NRW bis zum Jahre 2018 fortgesetzt wird. Sie sagte dazu: “ „Die Entwicklung zur Ganztagsschule hat das Lernen in den Schulen und unsere Gesellschaft nachhaltig verändert. Die Serviceagentur ‚Ganztägig lernen‘ trägt in Nordrhein-Westfalen dazu bei, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Schulen zu qualifizieren und zu stärken. Diese Unterstützung werden wir auch in den kommenden vier Jahren fortsetzen. In dieser Zeit soll die Zusammenarbeit mit den Regionalen Bildungsnetzwerken ausgebaut werden, um den regionalen Austausch über Qualitätsentwicklung an Ganztagsschulen voranzutreiben.“
Die wissenschaftliche Begleitung wird ebenfalls fortgesetzt.
Wichtiger als die Förderung der Serviceagentur finde ich allerdings die Unterstützung der Schulen vor Ort, denn die Kommunen tun unterschiedlich viel für ihre Schulen. An vielen Stellen hapert es noch gewaltig. Das zeigt der Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2014 deutlich auf.

Weitere Hinweise:

Thema/TitelInternet-Adresse
Das Schulministerium NRW hat ein eigenes Internetangebot für Ganztagsschulen im Netz, das alle wesentlichen Informationen zu Ganztagsschulen enthält.www.ganztag-nrw.de
Interessant ist der 68-seitige Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2014, der vornehmlich aus Sicht der Eltern und Schüler die Mängel beschreibt.www.bildungsbericht-ganztag.de